Rinderwahnsinn

Rinderwahnsinn

28.07.2016

Urlaub am Bauernhof ist ein bekanntes Konzept, gerade in Österreich auch ein starker Teil des Tourismussektors. Pittoreske Landschaften, glückliche Tiere und traditionelles Essen sollen die Gäste ein Stück des bäuerlichen Lebens kosten lassen. Ich mache mich auf den Weg zu einem solchen Hof, der aber in zwei Punkten entschieden vom Standard abweicht: Erstens sind die Tiere, die dort leben, keinem menschlichen Nutzen unterworfen, zweitens ist die angebotene Verpflegung zu 100 % vegan. Es ist ein Lebenshof, genauer der Klosterhof im Waldviertel. Die beiden Gründer und Initiatoren des Projekts Rinderwahnsinn sind Hubert Gassner und Steffi Buchinger, die mich gleich herzlich empfangen, als ich in Gföhl vom Bus aussteige. 

Die Entstehung einer Idee

Die beiden umgibt eine bewegte Geschichte. Hubert wuchs im Mühlviertel auf einem der ersten Bio-Bauernhöfe in Österreich auf, der biologische Landbau wurde ihm quasi in die Wiege gelegt. Nach einigen beruflichen Umwegen begann er 2001 seine eigene Rinderzucht in der Gemeinde Rastenfeld im Waldviertel. Die Tiere durften schon damals ganzjährig ihr Dasein auf der Weide genießen, versorgt mit dem Gras der Weide im Sommer, mit Heu und Silage im Winter. Geschlachtet wurden sie jedoch trotzdem noch. Nach und nach bemerkte Hubert, dass er kein gutes Gefühl mehr verspürte, seine Rinder mit Namen zu versehen. Der kleine, lokale Schlachtbetrieb musste einem größeren, weiter entfernten weichen, Hubert konnte bei der Schlachtung nicht mehr persönlich dabei sein. Als schließlich seine Rinder aus Angst den Transporter vor dem Schlachter nicht mehr verlassen wollten, befand sich der Biobauer an einem moralischen Scheideweg. Der Gedanke keimte in ihm, aufhören zu wollen. Dies hätte jedoch bedeutet, die gesamte Herde von rund 60 Tieren schlachten lassen zu müssen. Keine Lösung für Hubert. Es hat beinahe einen Hauch von Schicksalshaftigkeit, dass ihn gerade in dieser Zeit, im Sommer 2014, ein Brief erreichte. Von Steffi. Die studierte Chemikerin und engagierte Tierschützerin war verzweifelt auf der Suche nach einem Platz für sechs Schweine, die sie vor der Schlachtung bewahren wollte. Zu diesem Zweck gründete sie den Verein Happy Pigs & Friends. Auf eine Aussendung von 115 Briefen folgten nur drei Rückmeldungen, eine davon war von Hubert. Die beiden vereinbarten ein Treffen. Zu diesem Zeitpunkt wussten es beide noch nicht, aber dies sollte den Anfang des Projekts Rinderwahnsinn markieren. Hubert konnte sich damals noch nicht vorstellen, ohne Fleisch, geschweige denn komplett ohne tierische Produkte zu leben. Steffi lebte ihm vor, wie einfach und genussvoll es ja doch geht. Wenige Wochen später war der Rinderzüchter selbst zum Veganer geworden. Hubert fasst diese Entwicklung in Verbindung mit der Namensgebung des Projekts bildhaft zusammen: Zuerst waren die Rinder, dann der Wahn der Schlachtung und schließlich kam mit Steffi der Sinn! Die Idee war geboren. Die Tiere sollen bis zum Ende ihrer Tage auf der Weide leben, ohne jeglichen Nutzen haben zu müssen. Sie dürfen um ihrer selbst willen sein. 

Fütterung auf der Rinderweide

Es lässt mich nicht ganz kalt, als wir am Weidezaun stehen und sich rund 20 eindrucksvolle Hochlandrinder und ihre heimischen Artgenossen geschlossen auf uns zubewegen. Es ist eine bunte Herde, schwarz, weiß und braun in allen möglichen Variationen. Sie kennen das Motorengeräusch des Pick-ups und wissen, was folgt: Futter. Von Steffi und mir bekommen sie als Vorspeise altes Brot, einer ihrer liebsten Snacks. Vorsichtig strecken mir die sanften Tiere mit den beeindruckenden Hörnen ihre Köpfe entgegen, als ich ihnen die Hand mit dem Brot ausstrecke. Besonders die Hochlandrinder mit ihrer zotteligen orangen Mähne, die ihnen wie Stirnfransen bis an die Nase hängt, haben es mir angetan. Die jüngsten Kälber sind etwa 1 Jahr alt, da Hubert die Zucht eingestellt hat, um den Bestand nicht weiter zu vergrößern. Richtig spannend wird es, als Hubert mit dem Traktor die Bühne betritt. Zu dritt begeben wir uns nun mitten in die Weide zu den Futterstellen, denn dort wird das Heu bzw. die Silage in großen Ballen abgeladen. Regelrecht euphorisch streckt eines der Rinder seine Hörner in den Ballen und trägt das Heu nun stolz als Teil seines Kopfschmuckes. Auch hier kommt wieder die Herdenhierarchie zum Tragen: Die Tiere halten sich an ihre eigene Rangordnung. Wir lassen die zufriedenen Kühe zurück und fahren weiter zur Schweineweide.

Schwein im Glück

Diese ist ein Erlebnis für sich. Auch die Schweine erkennen Steffis Auto schon von weitem und begrüßen uns sogleich mit einem beinahe ohrenbetäubenden Grunzkonzert. Steffi und Hubert haben mich schon gewarnt, dass die Schweine etwas laut sein werden. Es ist ihre Art der Begrüßung. Nie hätte ich gedacht, dass sechs Schweine zu solchen Lautstärken fähig sind. Aber kaum ist man in unmittelbarer Nähe und mit Heu gewappnet, ist der Willkommenschor verstummt. Die volle Aufmerksamkeit gehört nun den mitgebrachten Kartoffeln und dem schönen Gerstenstroh. Steffi begrüßt ihre Schützlinge liebevoll und namentlich. Die weitläufige Schweineweide umfasst einige Bäume und einen eigenen Unterschlupf für die Tiere als Nachtquartier. Fröhlich strecken sie alle ihre Rüssel ins frische Stroh und suchen nach mehr Kartoffeln. Es ist erfreulich, die Tiere so unbeschwert erleben zu dürfen.

Sanfte Riesen auf der Ochsenweide

Ein letzter Abstecher zur Ochsenweide geht sich noch vor Einbruch der Dunkelheit aus. Bei Steffis und meiner Ankunft stehen alle Tiere am unteren Ende der riesigen 10 ha großen Weide und aus dieser Entfernung kann ich ihre tatsächliche Größe nur erahnen. Sie lassen sich durch unsere Anwesenheit nicht aus der Ruhe bringen. Als jedoch Hubert an den Zaun tritt, passiert etwas, das mich staunen lässt: Er ruft die Tiere fürsorglich „Pupperl“ und siehe da, die mächtigen Tiere treten unter erfreutem Muhen plötzlich den Marsch an den Zaun heran an. Der größte unter ihnen hat etwa die Ausmaße eines gewaltigen Pferdes und ist mit stattlichen 1100 kg eine imposante Erscheinung. Genüsslich lässt sich der sanfte Riese von Hubert mit der Bürste das Fell streicheln, aber nur so lange sich nicht der nächste eifersüchtig vordrängelt. Die Massage-Einheiten sind beliebt. Der jüngste im Rudel, der kleine Alf, wartet lieber gespannt auf Steffis Altbrot. 

Angebot und Blick in die Zukunft

Es ist nun schon fast dunkel und wir treten den Rückweg an. Am Abend werde ich von Steffi mit einem ausgezeichneten 3-Gänge-Menü verköstigt. Hubert schwärmt von ihrem Essen und Steffi freut sich, dass ich ihm nur vollends zustimmen kann. Vieles, was auf dem Tisch landet, entstammt dem eigenen Bio-Anbau, wie zum Beispiel Leinsamen und Buchweizen, die Steffi kreativ zu Rohkostwraps, Aufstrichen und selbst gebackenem Brot verarbeitet. Gemeinsam sitzen wir in der Stube und die beiden erzählen mir von ihrem Werdegang und Plänen für die Zukunft, aber auch ihren Ängsten. Seit 2014 wurde kein Tier mehr geschlachtet, die entsprechenden Einnahmen fehlen. Neben den Ferienwohnungen und der Direktvermarktung landwirtschaftlicher Bio-Produkte setzen Steffi und Hubert auf Tierpatenschaften, die über den von Steffi gegründeten Verein Happy Pigs & Friends übernommen werden können. Noch sind viele Tiere ohne Paten, noch wissen wenige Menschen von der Möglichkeit des veganen Urlaubs am Bauernhof im Waldviertel. 4 Besuchstage („Tage des offenen Weidezauns“) sind für 2016 bereits geplant, Schul- und Betriebsausflüge und andere Ausflugsgruppen können eigene Programme buchen. Gespannt höre ich zu und bin immer wieder berührt, mit welchem persönlichen Einsatz und Hingabe die beiden ihr Projekt vorantreiben. Es erfordert auch viel Mut, einen solchen Schritt zu gehen, gerade in einer bäuerlich-ländlichen Gegend wie dem Waldviertel. Doch die beiden sitzen entschlossen vor mir, bestärkt durch die positiven Rückmeldungen derer, die sie bereits kennenlernen durften. Eine weitere davon ist von mir.