Das Handelsabkommen TTIP

Das Handelsabkommen TTIP

15.11.2016

Und dessen Auswirkungen auf Tierschutz und Landwirtschaft

Das geplante Handels- und Investitionsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) wird seit Juni 2013 zwischen der EU und den USA verhandelt. Durch den Abbau von Handelshemmnissen soll der größte Wirtschaftsraum der Welt mit über 800 Millionen Verbraucher:innen geschaffen werden. TTIP soll nicht nur den Warenhandel regeln, sondern auch Dienstleistungen etwa im Gesundheits- und Bildungsbereich.

Durch TTIP sollen Arbeitsplätze geschaffen und das Wirtschaftswachstum angekurbelt werden. Verbraucher:innen würden von einem größeren und günstigeren Produktsortiment profitieren. Kritiker:innen befürchten jedoch die Absenkung von europäischen Standards, etwa im Landwirtschafts- und Lebensmittelbereich, und zweifeln die positiven Auswirkungen auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt an. Stark kritisiert wird die fehlende Transparenz bei den Verhandlungen. 

Verhandlungen hinter verschlossenen Türen

Trotz weitreichender Folgen für Verbraucher:innen finden die Verhandlungen weitgehend hinter verschlossenen Türen statt. Am Verhandlungstisch wird die EU von der Europäischen Kommission vertreten. Die genaue Zusammensetzung der Verhandlungsgruppe ist meist unbekannt. Nur wenige Informationen werden an das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente der Mitgliedsstaaten weitergeleitet. Während nur wenige Politiker:innen außerhalb des Verhandlungsteams Einsicht in die Verhandlungsdokumente haben, werden multinationale Unternehmen und Lobbyisten einbezogen und deren Interessen angehört. So wurden bisher 82 % der Verhandlungen über Landwirtschaft mit der Industrie abgehalten und lediglich 8 % mit öffentlichen Interessensgruppen. Das Europäische Parlament müsste einer Einführung des Handelsabkommens TTIP zwar zustimmen, allerdings hat es nur die Möglichkeit, den fertig verhandelten Vertragstext als Ganzes anzunehmen oder abzulehnen. Die Diskussion, Neuverhandlung oder Abänderung einzelner Punkte wird nicht möglich sein. Ob das Abkommen auch durch die nationalen Parlamente oder ausschließlich durch EU-Organe ratifiziert werden muss, steht noch nicht fest.

Durch Investor-Staat-Klageverfahren sollen Unternehmen die Möglichkeit bekommen, Staaten vor privaten Schiedsgerichten zu verklagen, wenn diese durch ihr Handeln die Profiterwartungen der Unternehmen beeinträchtigen oder gefährden. Durch diese Klageverfahren wird der reguläre Rechtsweg umgangen und die Öffentlichkeit von den Verhandlungen ausgeschlossen.

Handelshemmnisse und unterschiedliche Standards

In der Wirtschaft wird unterschieden zwischen tarifären und nicht-tarifären Handelshemmnissen. Importzölle, Exportzölle und Exportsubventionen zählen zu den tarifären Handelshemmnissen. Sie waren meist Kernstück von Freihandelsabkommen, die in der Vergangenheit beschlossen wurden. Da zwischen den Verhandlungsmächten EU und USA die Zölle ohnehin schon weitgehend abgebaut sind, soll TTIP nicht-tarifäre Handelshemmnisse aus dem Weg schaffen. Zu diesen zählen etwa Exportbeschränkungen und Einfuhrverbote, aber auch technische und rechtliche Vorschriften und Umwelt-, Qualitäts- und Sozialstandards.

In vielen Bereichen liegen die Standards der EU und USA für Waren und Dienstleistungen weit auseinander. Zur Behandlung von unterschiedlichen Standards kommen zwei Methoden in Frage:

Angleichung von Standards: Durch eine Harmonisierung sollen unterschiedliche Standards aneinander angeglichen werden. Somit könnte sich der stärkere oder schwächere Standard durchsetzen bzw. ein Kompromiss aus beiden. Da in der EU meist höhere Standards gelten, wird von vielen Seiten eine Absenkung der Standards befürchtet.

Gegenseitige Anerkennung von Standards: Die EU könnte unter US-amerikanischen Standards hergestellte Produkte akzeptieren, auch wenn diese nicht der eigenen Gesetzgebung entsprechen, und vice versa. Diese Methode würde zu keiner unmittelbaren Herabsetzung von europäischen Standards führen, aber Produkte zum Verkauf anbieten lassen, die unter in der EU verbotenen Praktiken hergestellt wurden.

Vorsorge oder Nachsorge?

Dass sich die Rechtssysteme der USA und EU grundlegend unterscheiden, ist bei der Zulassung neuer Produkte bemerkbar:

Vorsorgeprinzip: In der EU gilt das Vorsorge, das heißt ein Produkt wird nur zugelassen, wenn dessen Ungefährlichkeit für Mensch und Umwelt durch den Produzenten bewiesen werden kann. Besteht keine ausreichende wissenschaftliche Gewissheit über die Unbedenklichkeit des Produktes, wird aus Vorsicht die Markteinführung verboten.

Risikoprinzip: In den USA können Produkte wesentlich einfacher auf den Markt gebracht werden, Regelungen und Einschränkungen werden oftmals erst im Nachhinein erteilt. Das Produkt muss erst vom Markt genommen werden, wenn ein Schaden für Mensch oder Umwelt entsteht oder Risiken nachgewiesen werden.

Hormonfleisch, Chlorhühner und Bauernsterben

Da die Standards in der Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie besonders weit auseinanderliegen, nimmt die Diskussion über den Handel mit Agrarprodukten und Lebensmitteln einen prominenten Platz in den Verhandlungen ein. In den USA ist etwa die Desinfizierung von getöteten Hühnern mit Chlor und Nahrungsmittelproduktion aus gentechnisch veränderten Pflanzen erlaubt und üblich. Sogenannte „Nutztiere“ dürfen mit Hormonen zur Wachstumsbeschleunigung behandelt werden. Rinder erreichen so bereits nach 12 statt 24 Monaten ihr Schlachtgewicht und können somit zu den halben Kosten „produziert“ werden. Derzeit wird die Hormonbehandlung zur Wachstumsbeschleunigung bei 90 % der US-amerikanischen Rinder angewendet. Milchkühe erhalten ebenfalls Hormone, damit sich deren Milchleistung drastisch erhöht. Verbote des durchgehenden Kastenstands bei Schweinen und der Käfighaltung von Legehennen sind Errungenschaften des europäischen Tierschutzes und leider in den USA noch immer übliche Praxis. TTIP könnte zur Aufhebung dieser Verbote führen oder den Import derartiger unter Tierqual erzeugten Lebensmittel erleichtern. TTIP bedroht nicht nur derzeitige Tierschutzgesetze, sondern würde auch deren Ausweitung und Verbesserung aufgrund des Investor-Staat-Klagerecht erschweren oder unmöglich machen.

Die Landwirtschaft der USA und EU ist sehr unterschiedlich organisiert. In den USA ist die Landwirtschaft bereits weit industrialisierter, wenige Agar-Großbetriebe beherrschen die gesamte Produktion von Lebensmitteln wie Fleisch, Milch und Eiern. Ein durchschnittlicher landwirtschaftlicher Betrieb in den USA umfasst 170 Hektar, in der EU hingegen lediglich 12 Hektar. Während in Österreich die Hälfte der Schweinebauern 400-1.000 Tiere halten, leben in acht von zehn US-amerikanischen Schweinebetrieben mehr als 5.000 Tiere. Durch TTIP würde das Bauernsterben verstärkt und die kleinstrukturiertere österreichische und europäische Landwirtschaft bedroht werden, denn diese ist neben großen US-amerikanischen Agrarkonzernen nicht wettbewerbsfähig. Der Einsatz von Hormonen in der Tierhaltung müsste erwogen werden, um zumindest zu ähnlichen Preisen produzieren zu können. Steigende Industrialisierung und Konzentration der Landwirtschaft und Absatzeinbußen durch günstigere US-amerikanische Produkte würde nicht nur zum Verlust von europäischen Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft führen, sondern auch negative Auswirkungen auf Umwelt und Biodiversität haben.

Die europäische Landwirtschaft mag einigen strengeren Regelungen unterworfen sein, doch auch hier gibt es sehr großen Verbesserungsbedarf in der Tierhaltung, denn Praktiken wie die Kastration von Ferkeln bei vollem Bewusstsein sind üblich. Von dem Ideal einer Landwirtschaft ohne Tiernutzung und -ausbeutung ist man weit entfernt.

Das Comeback der Kosmetik-Tierversuche?

Auch beim Thema Tierversuche weichen die Meinungen und Praktiken der USA und EU deutlich voneinander ab. Während in der EU seit 2004 Kosmetikendprodukte und seit 2009 neue kosmetische Inhaltsstoffe nicht mehr an Tieren getestet werde dürfen, schreiben die USA Tierversuche zur Zulassung von Kosmetika vor. Auch dürfen keine Kosmetika aus Drittländern in die EU importiert werden, die an Tieren getestet wurden. Aus den an die Öffentlichkeit geratenen Verhandlungsdokumenten geht hervor, dass die USA vor allem bei Sonnencremen mit UV-Strahlenschutz auf Tierversuche bestehen, wohingegen die EU alternative Testmethoden als möglich und sogar sicherer einstuft. Tierversuchsverbote werden somit zur Handelsbarriere, und könnten daher durch TTIP beseitigt werden. Die Sorge ist berechtigt, dass das Handelsabkommen zu einer Aufweichung oder Abkehr vom hart erkämpften Tierversuchsverbot für Kosmetika führen würde.

Zahlen

  • 2/3 der österreichischen Landwirte stehen TTIP ablehnend gegenüber und sehen vorwiegend Risiken. (Quelle: UnternehmensGrün e.V.)
  • Verhandlungen über Landwirtschaft zu 82 % mit Industrievertreter, 8 % mit öffentlichen Interessensgruppen (Quelle: GLOBAL 2000)
  • Durch Hormone zur Wachstumsbeschleunigung sind Rinder nach 12 statt 24 Monaten schlachtreif.
  • 90 % der Mastrinder in den USA bekommen Wachstumshormone.
  • Durchschnittsgröße landwirtschaftlicher Betrieb: USA: 170 Hektar, EU: 12 Hektar