Hundetraining: gewaltfrei & belohnungsbasiert

Hundetraining: gewaltfrei & belohnungsbasiert

18.05.2017

Vegan zu leben bedeutet, Gewalt an Tieren abzulehnen. Daraus folgt in erster Linie, bei Lebensmitteln, Kosmetika und Kleidung darauf zu achten, dass sie ohne tierliche Inhaltsstoffe produziert wurden. Doch auch im alltäglichen Zusammenleben mit nicht-menschlichen Tieren ist ein respektvoller und gewaltfreier Umgang sehr wichtig. Was das für das Training mit Hunden heißt, darüber haben wir uns mit den beiden engagierten Hundetrainerinnen Petra Frey und Ursi Aigner unterhalten.

Petra und Ursi, ihr seid beide erfahrene Hundetrainerinnen, die großen Wert auf einen gewaltfreien Umgang mit Tieren legen. Mit wem teilt ihr euer Leben?

Ursi: Meine Mitbewohner:innen heißen Baghira und Nemo und leben seit etwa 14 und 10 Jahren bei mir – also seit sie Welpen waren. Baghira, ein Beagle-Labbi-Herdi-Mix, war eine Annonce im Internet (damals wusste ich es nicht besser) und Nemo, ein Cocker-Spitz-Mix, ein Hoppala-Wurf einer Tierheim-Kollegin. Heinzi, ein Rotti-Schäfer-Mix, lebte zwischenzeitlich 3,5 Jahre bei mir, er wäre sonst in einem Tierheim euthanasiert worden. Leider ist er inzwischen verstorben. 

Petra: Ich teile zurzeit mein Leben mit meinem Hund Werner, einem ca. 11-jährigen American-Staffordshire-Mischling. Bevor ich Werner zu uns nahm, war ich jahrelang seine Betreuungsperson im Tierheim, wo er 7 Jahre seines Lebens verbrachte. Eines Tages weigerte er sich, nach dem Spaziergang zurück ins Tierheim zu gehen, und die Dinge nahmen ihren Lauf …

Was ist euch im Zusammenleben und im Training mit euren Hunden besonders wichtig?

 Petra: Ich weiß, dass sich mein Hund die meiste Zeit an mein Leben anpassen muss, deswegen achte ich darauf, ihm so viele Freiheiten und Entscheidungsmöglichkeiten zu geben, wie es eben für einen „Problemhund“ in der Großstadt nur geht. Das sind manchmal nur Kleinigkeiten wie zum Beispiel Werner bei Wegkreuzungen entscheiden zu lassen, wohin wir weitergehen. Oder ihn bei Futtersnacks aussuchen zu lassen, worauf er gerade Lust hat. 

Ursi: Das Zusammenleben sollte den Bedürfnissen der Hunde entsprechen – sowohl allgemein als auch individuell. Hunde sind so unterschiedlich wie Menschen untereinander. Was für den einen passt, ist für einen anderen weniger gut. Im Training jedoch gibt es klare Richtlinien: kein Erschrecken, kein Zwicken, kein körperliches Bedrohen, kein Leinenruck, kein Treten etc. Was die Hunde im Zusammenleben mit Menschen lernen sollten, muss ihnen Spaß machen bzw. sollen sie es gerne tun. Denn auch wenn es scheint, dass der Hund gerne überallhin mitkommt, so hat er doch in Wirklichkeit kaum eine andere Möglichkeit, als genau nur das zu tun. Es liegt in der Verantwortung von uns Menschen, dass unsere Hunde glücklich und zufrieden sind. Daher sind Belohnungen (auch in Form von Leckerlis) Pflicht.

Wie kann man einem Hund gewaltfrei beibringen, welche Verhaltensweisen erwünscht sind und welche nicht?

Ursi: Hunde, wie auch andere menschliche und nicht-menschliche Tiere, lernen – neben anderen Lernformen – über Assoziationen (Verknüpfungslernen) sowie über die Konsequenzen ihres Verhaltens. Hier kann man als verantwortungsvolle:r menschliche:r Mitbewohner:in dem Hund helfen, das „Richtige“ („Ungefährliche“, „Sinnvolle“, „Adäquate“, „Gesunde“, „Interessante“, …) zu tun: durch Belohnung von erwünschtem Verhalten bzw. durch das „Angenehmmachen“ von potenziell unangenehmen Situationen. 

Petra: Je kreativer und einfallsreicher der Mensch, desto besser. Als Basis würde ich vorschlagen: vorausschauend handeln. Wenn ich mit meinem Hund wo hinkomme, überlege ich mir, wie er sich wahrscheinlich verhalten wird und wo es zu Konflikten kommen könnte. Anstatt meinen Hund in diese „Fettnäpfchen“ treten zu lassen, versuche ich im Vorhinein, diese zu verhindern und ihn darauf vorzubereiten. Restaurantbesuche oder Fahren mit Öffis kann man beispielsweise wunderbar spielerisch zu Hause trainieren. Viele Hunde lieben spannende Leckerchen oder verschiedene Spiele mit dem Menschen. Daraus lassen sich tolle Trainingsspiele machen. Hat ein Hund hingegen Probleme wie Angst, Aggression oder Hyperaktivität, kann man ihm nicht einfach nur zeigen, was „erwünscht“ ist und was nicht. Hunde zeigen diese Verhaltensweisen schließlich nicht bewusst und können sie nicht einfach „abstellen“. Hierbei muss oft auf verschiedensten Ebenen gearbeitet werden – beispielsweise das Selbstbewusstsein des Hundes stärken, ihm alternative Verhaltensstrategien beibringen, den Menschen gut schulen und schlussendlich Situationen so trainieren, dass sich der Hund wieder wohlfühlt.

An welchen speziellen Herausforderungen habt ihr im Laufe der Jahre mit euren eigenen Hunden gearbeitet?

Petra: Aggressionsprobleme. Werner kam beschlagnahmt ins Tierheim und hatte von seinem Vor„besitzer“ leider nicht so tolle Dinge beigebracht bekommen. So muss ich bei Kontakten mit fremden Hunden und teilweise auch bei Menschen aufpassen. Da Werner einen Maulkorb tragen muss, habe ich ihm diesen anfangs immer mit tollen Leckerchen befüllt, um ihm diesen so schmackhaft wie möglich zu machen. Heute schlüpft er freiwillig rein und bekommt auch immer ein Leckerchen dafür. Bei Menschen- und Hundekontakten habe ich ihm beibringen müssen, dass man ausweichen kann und dieses Verhalten immer mit Leckerchen belohnt. Mittlerweile weicht er meistens von selber anderen Hunden und Menschen aus. 

Ursi: Meine erste Herausforderung war Baghira, meine Herzenshündin. Als Herdenschutzhund-Mix gepaart mit schlechter Sozialisation entwickelte sie problematisches Verhalten. Ich war damals noch „normale“ Hundehalterin. Sie ist der Grund, weshalb ich hier bin. Die zweite Herausforderung war Heinzi, der viel Gewalt in seinem Leben erfahren musste. Das war der Grund, weshalb er „Angriff ist die beste Verteidigung“ lernte und Fremden gegenüber gefährlich war. Wir haben viel gemeinsam geschafft und er hat mir meine Grenzen gezeigt, wofür ich ihm sehr dankbar bin.

Immer wieder hört man gut gemeinte Ratschläge wie: „Der Mensch soll immer zuerst essen, vor dem Hund durch die Tür gehen und ihn nicht auf die Couch lassen.“ Was haltet ihr von Tipps dieser Art?

Ursi: Das ist veraltetes Dominanz- und Rangordnungs-Blabla, wissenschaftlich seit Jahrzehnten widerlegt – leider weiterhin im TV verbreitet. In Hundefamilien gibt es keine Tür, die zuerst durchschritten werden kann, und auch kein Sofa, das angeblich Status anzeigt. Würde dieses Gedankenmodell stimmen, müssten wir Menschen Hunde durch Ano-Genital-Kontrolle begrüßen … Hunde sind – wie wir Menschen – hochsoziale Familientiere, in denen es selbstverständlich so einfache starre Gesetzmäßigkeiten gar nicht geben kann. 

Petra: Zu Erstem: So etwas bemerken die Hunde wahrscheinlich nicht mal. Vor dem Hund durch die Tür gehen kann Sinn machen, um zu kontrollieren, wer vor der Tür vorbeigeht, ansonsten sehe ich keinen pädagogischen Mehrwert. Und den Hund nicht auf die Couch lassen – das muss jede:r selber entscheiden. Aus Trainersicht würde ich es sogar empfehlen: Was kann die Bindung stärker fördern als zusammen auf der Couch zu kuscheln?

Bei Rappeldosen oder Wurfketten wird, so scheint es, keine körperliche Gewalt eingesetzt. Warum sind derartige Methoden dennoch abzulehnen?

Ursi: Wenn diese Geschosse funktionieren, dann nur deshalb, weil der Hund sich massiv erschreckt und sich in Folge vor dem Geräusch, der Situation, was auch immer er damit verknüpft, fürchtet. Das kann sich bis zur Geräuschangst weiterentwickeln – dies ist selbstverständlich tierschutzrelevant. 

Petra: Aus moralischer Sicht ist es für mich absolut indiskutabel, einem Hund Angst zu machen.

Hunde benutzen sogenannte „Calming Signals“, also Beschwichtigungssignale. Was genau sind diese Signale und wie können sie uns helfen, Hunde besser zu verstehen?

Ursi: Calming Signals sind einerseits Höflichkeitsgesten unter Hunden, die bei einer freundlichen Begrüßung zweier fremder Hunde dazugehören wie Händeschütteln bei Menschen. In anderen Kontexten zeigen Beschwichtigungssignale jedoch, dass dem Hund etwas unangenehm ist bzw. dass er aus der Situation raus möchte. Erkennt der Mensch die Signale nicht bzw. hilft seinem Hund nicht, so ist dies ein Vertrauensbruch. Der Hund ist in einem massiven Konflikt: Er zeigt, dass er unsicher ist, und sein Mensch reagiert nicht. Wie soll er sich weiter verhalten? Fight oder flight?

Petra: Es handelt sich um lautlose körpersprachliche Signale, wie beispielsweise sich über den Fang lecken, den Kopf wegdrehen, sich abwenden, weggehen … Leider sind wir Menschen eine sehr redsame Tierart, die auf solch feine Signale nicht achtet. Wenn wir sie überhaupt bemerken, werden sie dann zum Teil als „Ungehorsam“ gewertet oder „Respektlosigkeit“ gegenüber dem Menschen. Vielen Hunden bleibt also nichts anderes übrig, als sich mit der Zeit durch Knurren, Fletschen oder gar Beißen mitzuteilen. Zu einem gemeinsamen Leben gehören das gegenseitige Verständnis und Rücksichtnahme aufeinander. Ich kann nur jedem empfehlen, sich über die Körpersprache beim Hund genauer einzulesen und diese verstehen zu lernen.

Viele Hundetrainer:innen arbeiten nach wie vor mit veralteten Methoden, die mit Angst oder sogar Schmerzen arbeiten. Worauf sollte bei der Auswahl eines:r Trainer:in geachtet werden, um sicherzustellen, dass das Training auf gewaltfreien Methoden basiert?

Ursi: Seriöse Trainer:innen erklären auf wissenschaftlicher Basis, wie Lernen bei Hunden funktioniert, verwenden weder Dominanz- noch Rangordnungsblabla und benutzen (auch) Belohnungen wie Futter im Training. Es gibt kein Geschreie, Gezerre oder sonstigen Stress in den Trainingseinheiten. Sie finden individuelle Lösungen, anstatt Pauschalmethoden anzuwenden.

Petra: Bereits im Vorfeld kann man anhand der Homepage der Trainer:innen einiges erkennen. Schaut darauf, ob sich die Person fortbildet und bereit ist, immer wieder dazuzulernen. Anhand von Bildern sieht man zum Beispiel, welche Hilfsmittel eingesetzt werden: Tragen die Hunde Kettenhalsbänder oder gar Würgehalsbänder? In dem Fall würde ich dringend von der Person abraten. Die freundlichsten Hilfsmittel sind Brustgeschirre – sieht man diese auf den Bildern, ist das zumindest ein Indiz, dass mit den Hunden nett gearbeitet wird. Viele Trainer beschreiben auf ihrer Homepage ihre Arbeitsweise. Auch hier kann man bereits eine Grobauswahl treffen: Werden Begriffe wie Rangordnung „klären“ oder Dominanz verwendet, würde ich empfehlen, Abstand zu halten. Beim Training merkt man meistens schnell, ob sich der eigene Hund bei der Person wohl fühlt oder nicht. Werden Trainingsmethoden empfohlen, die dem Hund Schmerzen bereiten oder Angst einjagen, würde ich umgehend die Hundeschule verlassen. Was noch wichtiger ist: Einige Trainer:innen verstecken ihre Gewalt sehr gut. So basieren viele Methoden auf schlichter Einschüchterung des Hundes, also keiner körperlichen Gewalt, sondern psychischer. Schaut immer auf die Körpersprache eurer Hunde! Fühlt sich euer Hund sichtlich unwohl, geht er geduckter und will der Person ausweichen, dann beendet das Training!

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