Aquakulturen-Retter der Meere?

Aquakulturen-Retter der Meere?

22.05.2018

Der Zustand der Weltmeere ist besorgniserregend: Etwa 90 % der Fischbestände gelten als überfischt oder vollständig befischt und zahlreiche Expter:innen prognostizieren einen Kollaps der Fischerei bis 2050. Die Aquakultur wird oftmals als Lösung der Überfischung gefeiert. Doch die Fischzucht verursacht oder verschärft zahlreiche ökologische, soziale und tierethische Probleme.

Boom der Aquakulturen

Schon im antiken Rom wurden Fische und Muscheln gezüchtet, die Aquakultur blickt somit auf eine lange Geschichte zurück. Die hoch technologische und industrialisierte Aquakultur entwickelte sich jedoch erst ab der Mitte des 20. Jahrhunderts als Antwort auf eine stark gestiegene Nachfrage nach Fisch. Schon lange kann diese nicht mehr über den Wildfang befriedigt werden, denn alleine seit den 1960er Jahren hat sich der Fischkonsum pro Kopf verdoppelt. Die Aquakultur stellt nun den am schnellsten wachsenden Bereich der globalen Ernährungswirtschaft dar. Etwa die Hälfte des am Teller landenden Fisches stammt aus Aquakulturen, Tendenz steigend. Diese Entwicklungen verdeutlichen eine längst angebrochene neue Ära der Fischerei.

Bedrohung der Artenvielfalt unter Wasser und an Land

Durch die Tierhaltung in Netzgehegen in offenen Gewässern kommt es zu einem kontinuierlichen Eintrag von Futterrückständen, Pestiziden und Exkrementen ins Wasser. Folgen sind Wasserverschmutzung und negative Einflüsse auf wilde Tiere und Pflanzen. Ebenso gelangen Antibiotika und Krankheitserreger durch Aquakulturen in das umliegende Wasser und können zu einer raschen Krankheitsverbreitung beitragen und so Wildpopulationen gefährden. Durch den Ausbruch von gezüchteten, nicht-heimischen Arten werden ansässige Arten oftmals verdrängt. Bei einer etwaigen Paarung von gezüchteten und wild lebenden Tieren tritt die Gefahr auf, dass es zu einer Verringerung der genetischen Vielfalt und Erhöhung der Krankheitsanfälligkeit kommt, da „Zuchtfische“ eine geringere genetische Diversität aufweisen. So wird der in Afrika beheimatete Tilapia mittlerweile in über 80 Ländern gezüchtet und trägt durch immer wieder auftretende Ausbrüche zur Verdrängung heimischer Arten bei. Da die Zucht von vielen Arten noch nicht derart ausgereift ist, dass sie den Wünschen der Aquakulturbetreiber entspricht, werden Jungtiere aus Wildbeständen gefangen und in der Zucht gemästet. Dies übt vor allem weiteren Druck auf Wildbestände der Thunfische, Aale und Garnelen aus. Doch auch Lebensräume an Land werden durch Aquakulturen bedroht. So etwa im Falle der Zerstörung der Mangrovenwälder durch die Shrimpszucht.

Fatale Folgen der asiatischen Shrimpszucht

Die Geburtsstunde der kommerziellen Shrimpszucht in Asien liegt in den 1970er-Jahren, als die kleinstrukturierte Produktion von einer groß angelegten, teils von internationalen Investoren gestützten Industrie verdrängt wurde. Heute stammen 75 % der Shrimps aus asiatischen Ländern. Die Hälfte der artenreichen Mangrovenwälder sind den Shrimpsfarmen gewichen, insbesondere in Thailand, Vietnam, Bangladesch und auf den Philippinen. So sind deren Funktionen als Schutz vor Stürmen und Lebensraum von zahlreichen Tieren und Pflanzen verloren gegangen. Durch die Ansiedelung der Shrimpsfarmen wird der lokalen Bevölkerung oftmals der Zugang zum Meer und somit zu ihrer Lebensgrundlage verwehrt. Die wasserintensive Bewirtschaftung der Shrimpsteiche kann regional zu beträchtlicher Wasserknappheit und -verschmutzung führen. Die Shrimpsindustrie steht oftmals in Zusammenhang mit Vertreibungen der ansässigen Bevölkerung und menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen.

Veredelungsverluste – Fisch isst Fisch

Etwa ein Viertel des Fangs an wild lebenden Fischen weltweit landet in den Mägen von in Gefangenschaft gehaltenen Fischen. Die Aquakultur verwendet etwa 70 % des global produzierten Fischmehls und 90 % des Fischöls für die Ernährung von gezüchteten Lebewesen. Die Überfischung der Meere und die Aquakulturen stehen somit in einem engen Zusammenhang. Ebenso wie die Produktion von Fleisch, Milch und Eiern ist die „Herstellung“ von Fisch sehr ressourcenineffizient: 2-5 Kilogramm Fisch aus Wildfang werden pro Kilogramm Lachs oder Garnelen verfüttert. Bei der „Produktion“ von Thunfisch werden sogar 20 kg wild lebende Fische verfüttert. Anstatt der oftmals proklamierten Entlastung der Überfischung verschärfen Aquakulturen dieses Problem noch weiter.

Massentierhaltung unter Wasser

Die Intensivierung der Aquakultur geht nicht nur zu Lasten der Umwelt. Hinter den jährlich über 76.000 Millionen Tonnen „produzierten“ Fischen und „Meeresfrüchten“ stehen Hunderte Milliarden Wasserlebewesen, deren Leid und Ausbeutung vergleichbar mit jenem von Kühen, Schweinen und Hühnern ist. Fische sind soziale und sensible Lebewesen, zusammengepfercht in Käfigen, Netzgehegen oder Tanks wird ihnen die Auslebung natürlicher Bedürfnisse, wie Nahrungssuche und Bewegung, beinahe vollständig verwehrt. Stress und Schmerz sind somit ständige Begleiter der in Gefangenschaft lebenden Fische. Die geschwächten und gestressten Tiere sind anfälliger für Krankheiten und Parasitenbefall und neigen zu aggressivem, fremdverletzendem Verhalten. Als Patentlösung wird der Einsatz von Antibiotika und Pestiziden gesehen, diese wirken sich jedoch nicht nur auf Zuchtfische aus, sondern auch auf Wildtiere im offenen Meer. Wie in der Landwirtschaft werden auch aquatische Lebewesen auf schnelles Wachstum gezüchtet. Folgen sind häufige Missbildungen, vor allem an der Wirbelsäule und am Herzen. Besonders grausam vollzieht sich die Tötung der Fische: Viele erhalten Stunden oder Tage vor ihrem Tod kein Essen mehr, verbluten durch einen Kiemenschnitt oder ersticken durch Wasserentzug ohne Betäubung.

Aquakulturen

Als Aquakultur wird die kontrollierte Zucht von aquatischen Organismen bezeichnet. Am bedeutendsten ist hierbei die Aufzucht, Mast und Tötung von Fischen, Krebs- und Weichtieren. Die Tiere werden in unterschiedlichen Systemen gehalten: Teiche, Netzgehege und Kreislaufanlagen bilden das Zuhause der in Gefangenschaft lebenden Tiere. Die Shrimpszucht wird vor allem in riesigen, künstlich angelegten Teichen betrieben. Netzgehege werden in Teiche, Flüsse oder Meere gehängt, die Einflüsse auf das umliegende Ökosystem sind so dauernd gegeben. Geschlossene Kreislaufsysteme bestehen aus Becken und Filtersystemen, sodass sie unabhängig von natürlichen aquatischen Ökosystemen sind und beinahe an jedem Ort der Welt betrieben werden können.

Schutz der Meere und ihrer Bewohner:innen

Die Aquakultur ist keine Lösung der Überfischung der Meere, sondern trägt zu dieser bei. In Gefangenschaft und Freiheit lebende Fische haben jedenfalls gemeinsam, dass sie nicht sterben und als Fischstäbchen auf dem Teller landen wollen. Omega-3-Fettsäuren können wir einfach über Pflanzenöle wie Lein- und Rapsöl sowie Walüsse beziehen. Der Geschmack von Meer kann mit Algen und pflanzlichen Fisch- und Shrimpsalternativen auf den Tisch geholt werden. Ein bedeutender Beitrag zum Meeres- und Tierschutz kann somit ohne Verzicht auf Genuss geleistet werden, indem Wasserlebewesen vom Einkaufszettel gestrichen werden.